Freitag, 15. Juli 2016

Und die Welt dreht sich weiter... (aus "Haltet die Welt an" von Glashaus)



Am 13. Juli 2016 bin ich zurück nach Dar es Salaam geflogen.

Viele waren erstaunt, viele waren überrascht, für viele war es klar. Viele mögen es nicht verstehen, viele hätten anders entschieden, viele halten es für die richtige Entscheidung. Letzten Endes war es meine Entscheidung…

…und ich habe entschieden zurück zugehen. Inwiefern es richtig oder falsch war – wenn man bei so etwas überhaupt von richtig oder falsch sprechen kann – kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich hoffe ich werde eine schöne Zeit haben, noch vieles lernen und meinen weltwärts-Dienst mit einem (soweit möglich) guten Gefühl abschließen.

Am 17. Juni 2016 habe ich meinen dritten weltwärts-Bericht geschrieben (vlt. erinnert ihr euch, dass wir alle drei Monate eine Rückmeldung in Form eines Berichtes an unsere Organisation und das BMZ geben „dürfen“). Der Bericht war bereits fertig geschrieben, bevor ich nach Deutschland zurück geflogen bin. Diesen möchte ich nun mit euch teilen, vielleicht versteht der Ein oder die Andere meine Entscheidung dann etwas besser:

3. Bericht: Veränderungen und Erkenntnisse

So schwer wie dieses Mal ist mit der Anfang des Berichtes noch nie gefallen. Und das kann nicht daran liegen, dass ich nichts zu erzählen hätte. Es ist unheimlich viel in den letzten drei Monaten passiert. Aber zum Einem ist so viel passiert, dass es schlecht auf ein paar Seiten passt und zum Anderem fällt es mir schwer alles in Worte zu fassen.

Fazit der letzten Wochen ist definitiv, dass ich mich in keinen Monaten seit meiner Ankunft so wohl gefühlt habe. Ich war zufrieden, glücklich und meiner Meinung nach sehr ausgeglichen. Mir kommt es so vor, als habe mir der letzte Bericht ein bisschen die Augen geöffnet. Die Augen geöffnet, was mich unzufrieden macht aber auch was mich glücklich macht. Was ich ändern kann aber auch was ich lernen muss zu akzeptieren, im besten Fall verstehen. Als ich meinen letzten Bericht abgeschickt hatte, habe ich mich danach „frei“ gefühlt. Ich hatte das Gefühl, wichtige Dinge aufgeschrieben und mir dadurch gewissermaßen von der Seele gesprochen zu haben. In der Zeit vor dem Bericht habe ich mich häufig geärgert und durch den Bericht habe ich diesem Ärger ein Stück weit Luft gemacht, sodass ich endlich nach vorne blicken konnte. Er hat mir geholfen mit Dingen, die nicht zu ändern sind abzuschließen bzw. mit Dingen, die sehr wohl in meiner Hand liegen endlich  anzufangen. Ich habe meinen Bericht auch auf meinem Blog veröffentlich, woraufhin ich viel Rückmeldung bekommen habe. Rückmeldung die mir zusätzlich geholfen hat endlich etwas gegen meine Unzufriedenheit zu unternehmen.

Kommen wir nun zu einigen Erkenntnissen und neuen Gedanken, von denen ich oben geschrieben habe und die (teilweise) auf meinen letzten Bericht aufbauen.

Zum Einem ist da natürlich meine Arbeit im RED House. Ich war oft mit meiner Arbeitsweise unzufrieden, dachte ich arbeite zu wenig oder war zu erschöpft, wenn ich doch einmal mehr gemacht habe als gewohnt. Da Ulli für einige Zeit verreist war, war ich alleine im Projekt. Anfangs etwas ungewohnt, hat sich aber langsam eine andere Arbeitsweise eingestellt. Ich habe mein „eigenes Tempo“ gefunden, meinen „eigenen Stil“ und dadurch für mich einen neuen Arbeitsalltag geschaffen, der meiner Meinung nach alles erfüllt. „Erfüllt“ im Speziellen meint in diesem Fall, dass ich meinen täglichen Arbeiten (Zähne putzen mit den Kindern und Unterrichten) nachkomme, zusätzlich dazu aber auch einige Spieleinheiten mit den Kidis habe und trotzdem etwas Zeit „zum Entspannen“ für mich, wenn ich Schablonen oder andere Dinge für die Basteleinheiten der Kinder alleine im Zimmer vorbereite. Zum ersten Mal war ich zufrieden mit mir und meiner Arbeitsweise und hatte nicht ständig den Vergleich zu meinen Vorfreiwilligen im Kopf. Letzten Endes geht es nicht darum was oder wie meine Vorfreiwilligen Dinge anders/besser oder schlechter gemacht haben, sondern darum was ich jetzt mache und ob ich das vor mir selbst so rechtfertigen kann und mich zufrieden stellt. (Diese Erkenntnis lässt sich auch wunderbar auf andere Bereiche übertragen…)



Ich beim Basteln mit den Kidis

Sie können auch gaaaaanz brav sein :D


Ein großes Thema im letzten Bericht waren die (fehlenden) Freundschaften. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich neue Freunde finden will, dass ich Freundschaften zu Tansaniern aufbauen möchte aber dies für mich ein nahezu unüberwindbares Hindernis darstellte. Erst vor kurzem habe ich darüber noch einmal nachgedacht und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, habe ich festgestellt, dass ich im Moment gar nicht so stark an neuen Freundschaften interessiert bin. Ich habe in meinen letzten Jahren sehr häufig mein Umfeld gewechselt und dadurch sehr viele neue Menschen kennen gelernt. Teilweise Freunde fürs Leben, teilweise Menschen, die mich auf einem Abschnitt durchs Leben begleitet haben. Ich fand das toll und wollte es auch so, habe aber auch festgestellt, dass es sehr anstrengend sein kann sich immer wieder auf Neues einzulassen. Noch bevor ich nach Tansania gekommen bin, hat sich so langsam das Gefühl eingeschlichen „genug“ zu haben. Genug davon, auf neue Menschen zu treffen und sich die Zeit zu nehmen diese kennen zu lernen. Ich will nicht sagen, dass ich kein Interesse mehr daran habe Freunde zu finden, aber ich merke wie ich meine Energie lieber auf andere Dinge konzentriere, als neue Menschen kennen zu lernen. Wenn es sich ergibt ist das toll und wenn nicht auch kein Weltuntergang. Und wenn ich jetzt im Nachhinein Situationen betrachte, fällt mir auf, dass sich diese neue „Einstellung“ auch auf meine „Kennenlern-Situationen“ hier ausgewirkt hat. Situationen, in denen ich Leute hätte besser kennenlernen können, habe ich unbewusst oder bewusst verstreichen lassen. Ich finde, dass ich einen Teil meiner „Offenheit gegenüber Neuem“ verloren habe, was ich sehr schade finde und nun wieder ändern möchte. Ich habe aber auch festgestellt, dass es mir einfacher fällt mich mit Menschen zu unterhalten, die ähnlich sozialisiert sind/wurden wie ich. Das fällt mir dadurch auf, dass ich zu ein paar Freiwilligen ein sehr enges Verhältnis aufgebaut habe und hoffe, dass diese Freundschaften auch in Deutschland Bestand haben. Diese Freiwilligen sind wie ich in Deutschland aufgewachsen und kennen für mich bekannte Strukturen, dies macht es für mich einfacher ins Gespräch zu kommen. Ich muss also (etwas beschämt) erkennen, lieber den „einfachen und bekannten“ Weg gegangen zu sein, anstatt mich der Herausforderung „Freundschaften zu Menschen mit einer anderen Sozialisation aufzubauen“, zu stellen. Zumindest was es betrifft außerhalb meiner (Gast-)Familie mit Tansaniern ins Gespräch zu kommen.

„Ins Gespräch kommen“ ist auch eine schöne Überleitung für einen weiteren Punkt, den ich ansprechen möchte. Die Gespräche unter uns Freiwilligen haben sich meiner Meinung nach seit unserer Ankunft stark verändert. Dinge oder Situationen, die uns passiert sind und uns beschäftigen, waren schon immer ein Hauptgesprächspunkt, aber mittlerweile, finde ich, reflektieren wir diese Erlebnisse ganz anders als früher. Teilweise verbessern wir uns gegenseitig, wenn mal wieder jemand in die Falle der Verallgemeinerung („Alle (Tansanier) sind…“) tappt oder wir weisen daraufhin, dass derjenige die Situationen ggfs. falsch verstanden hat, etc. Haben wir uns anfangs oft einfach geärgert, fragen wir zunehmend nach dem „Warum“. Dabei merke ich aber auch, dass wir immer wieder aufpassen müssen uns nicht selbst über andere Leute, insbesondere über Touristen oder deutsche Freunde/Familie, zu stellen. Schnell rutscht man dahingehend ab, sich selbst als was Besseres zu sehen, da man ja jetzt „ein Jahr Tansania“ erlebt hat und dadurch reflektierter zu sein scheint als Andere. Es ist nicht unsere Sache über andere Menschen zu urteilen, sondern unsere Aufgabe, selbst der Mensch zu werden, der man gerne sein will - unabhängig davon, wie andere Menschen sich verhalten oder darüber denken. Wichtig ist doch, dass man mit sich selbst im Reinen ist und die Dinge, die man tut oder eben auch nicht, vor sich selbst rechtfertigen kann. Und dazu sollte es unnötig sein, andere Personen abzuwerten, um sich selbst in einem besseren Licht zu sehen.  
Durch die Gespräche mit alten und neuen Freunden werden auch eigene Moralvorstellungen diskutiert und in Frage gestellt. Das ist teilweise sehr nervenaufreibend und zeitintensiv, vor allem weil ich auch nach diesen Gesprächen häufig weiter darüber nachdenke. Generell habe ich mich mit meiner „eigenen Moral“ und leider oftmals auch „Doppelmoral“ auseinander gesetzt. Ich finde das sehr gut und merke, wie ich mich selbst hinterfrage und mich mit neuen Themen auseinander setze. Als Beispiel seien hier der Vegetarismus und die Tierhaltung in Zoos genannt. Ich hoffe, dass ich weitere Gedankenanstöße bekomme und diese auch in Deutschland weiterverfolge bzw. mein Handeln aufgrund der neuen Erkenntnisse verändere. Im Moment zähle ich diese Veränderungen meiner Denkweise zu den wertvollsten Erkenntnissen meines weltwärts-Jahres.


Ein paar Freiwillige und ich nachdem wir einen 10 km Lauf gerannt sind :)

Vor der EM wurde sich mit Fifa auf Fußball eingestimmt :D


Abschließend möchte ich noch ein paar Worte über das Thema „Integration“ verlieren, welches in meinem letzten Bericht auch ein großes Anliegen war. Was bedeutet eigentlich Integration, wann ist man integriert und wer hat das überhaupt zu bestimmen? Diese und weitere Fragen haben mich auch in den letzten Wochen weiter beschäftigt und ich habe mich mit Anderen darüber ausgetauscht. Es ist und bleibt ein schwieriges Thema. Und ich glaube erst durch dieses Jahr habe ich wirklich begriffen was für ein Ausmaß es haben kann, sein Heimatland zu verlassen und in ein bis dahin völlig fremdes Land zu kommen. Als Jemand, der nie sein Heimatland verlassen musste, ist es leicht zu sagen, „Flüchtlinge müssen sich integrieren, es ist ihre Aufgabe schließlich sind sie doch hergekommen“ oder „Wir helfen doch schon bei der Integration, bieten Deutschkurse an und organisieren Treffen, für Flüchtlinge und Deutsche.“ Aber um wirklich zu verstehen, wie es ist sein Land verlassen zu MÜSSEN, sich in die Fremde zu begeben und dort neu anzufangen, fehlt uns doch die eigene Erfahrung. Obwohl auch ich mein Heimatland verlassen habe und in ein fremdes Land gezogen bin, war dies doch meine eigene freiwillige Entscheidung, die zudem zeitlich begrenzt ist. Und schon in dieser kurzen Zeit habe ich viele Schwierigkeiten selbst erlebt, also wie muss es dann für Jemanden sein, der sein Land verlassen musste? Zumindest kann ich sagen, dass ich mich in meine tansanische Familie integriert habe bzw. integriert fühle. Es ist aber noch einmal ein anderes Paar Schuhe, wenn ich „mein Umfeld“ verlasse und raus auf die Straße gehe. Hier bin ich weiterhin die Weiße, die fremd ist und wohl auch bleibt…


5. Geburtstag von Princess Careen, jeder Gast wird mit einem Stückchen Kuchen gefüttert :)
Tesla und ich an Careen's Geburtstag


Dies sind nur ein paar wenige Erkenntnisse der letzten Wochen, die dazu geführt haben, dass ich mich wohler fühle. Wenngleich manche Erkenntnisse natürlich auch traurig stimmen. Selten war mir so klar, dass wir unser Glück selbst in der Hand haben. Wir können nicht die Welt verändern, aber wir können uns ändern. Und wo fängt man besser an, als bei sich selbst?! Daher korrigiere ich meinen Satz: Ich kann nicht die Welt verändern, aber ich kann mich selbst ändern. Und wer weiß schon, was diese (kleine) Veränderung bei Anderen auslöst… Hierzu fällt mir der Satz einer anderen Freiwilligen ein, die meinte „Ich verstehe gar nicht, wie man sich nach so einem Jahr nicht engagieren kann“. Hier in Tansania bin ich ein Gast, das ist in Deutschland aber anders. Dort habe ich nicht nur die Möglichkeit meinen persönlichen Lebensstil zu ändern, sondern mich auch außerhalb meiner vier Wände zu engagieren. Hierzu hoffe ich in den nächsten Wochen weitere Impulse und auf dem Rückkehrerseminar weitere Informationen zu bekommen. 
(geschrieben am 17. Juni 2016)


Sinza (Stadtteil von Dar es Salaam) von oben


Zudem hab ich bei meinem letzten Blogeintrag auf einen anderen Blog verwiesen, der sich nach der Anerkennung des Völkermordes der Armenier mit dem Genozid an den Herero und Nama beschäftigt hat. Hierzu jetzt ein kleiner Nachtrag, da die Bundesregierung die Massaker nun erstmals als Völkermord anerkannt hat:  


Auch wenn es nun wirklich schon lange her ist...aber in Tansania haben wir auch fleißig die EM verfolgt :)
Papa,
"Du bist nicht mehr da,wo du warst - aber du bist überall, wo wir sind." -Victor Hugo
Ich bin mir sicher, dass du gerade mit mir in Tansania bist und ich hoffe dir gefällt es hier. So wie es dir gefallen hätte, wenn wir es gemeinsam erlebt hätten! Ich würde so gerne deine Reaktion auf mein Leben hier sehen... 

Julie

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