Als weltwärts-Freiwillige gehört es zu unseren Pflichten
alle drei Monate einen Bericht über unseren Aufenthalt zu schreiben. Die
Berichte dienen nicht nur zur Rückmeldung an unsere Organisation und das BMZ,
sondern auch zur eigenen Reflexion. Da ich vor kurzem Halbzeit hatte, war es
also an der Zeit meinen Halbjahresbericht zu schreiben, den ich gerne mit euch
teilen will. =)
Folgende Zeilen (,die nicht Teil des eigentlichen Berichtes
sind) wollte ich eigentlich erst am Ende des Berichtes schreiben, da sie sich
auf den Bericht beziehen und ggfs. Dinge vorwegnehmen. Allerdings weiß man ja
nie wer wirklich bis zum Ende liest (:P) und ich finde es wichtig dass diese
Zeilen gelesen werden, damit der Bericht nicht völlig falsch verstanden wird ;).
Daher nun (auch) vorweg:
Ich schmeiße hier viele Sachen in einen Topf,
die man (vermutlich) besser getrennt sehen sollte. Allerdings habe ich den Text geschrieben,
wie die Gedanken in den Sinn kamen, daher ist er an vielen Stellen
unübersichtlich und unvollständig. Dennoch hoffe ich, dass der Ein oder Andere
meinen Gedankengängen folgen kann. Vielleicht sogar selbst zum Nachdenken
angeregt wurde.
Der Anfang des Textes ist sehr persönlich und bringt auch
meine Unzufriedenheit und sicher auch meine Traurigkeit zum Ausdruck. Hier
möchte ich nochmal kurz darauf hinweisen, dass ich traurig bin, dass ich
unzufrieden bin und dass ich häufig an meine Familie und Freunde denke, ABER
(!!!) das heißt nicht, dass es mir schlecht geht! Genau wie ich schlechte Tage in
Deutschland hatte, habe ich die natürlich auch in Tansania. Der Unterschied
liegt eher darin, was diese Traurigkeit auslöst. Das heißt aber nicht, dass ich
jeden Tag im Zimmer sitze und mir die Augen aus dem Kopf heule ;) :D. Erst
heute Morgen hat ein Kind bei uns angefangen alleine zu schreiben – einfach so
von sich aus. Am Anfang hat es jedes Mal geweint, wenn‘s ans Schreiben ging,
irgendwann weinte es nicht mehr aber wir mussten jeden Buchstaben
zusammenschreiben. Und heute hat es von sich aus gesagt „Mimi tu, mimi tu. Naweza
peke yangu, teacher“ (Nur ich, nur ich. Ich kann das alleine, Lehrerin). Und
dabei hat es fröhlich gelacht, den Stift genommen und angefangen die Buchstaben
nachzufahren. Ich stand sprachlos daneben und musste einfach anfangen zu
lachen, weil es mich so gefreut hat. Ihr müsst euch also keine Sorgen um mich
machen. Ich komm schon zurecht und falls nicht, hab ich jetzt dank meines
Osterpaketes einen Vorrat an Schokolade :D
(und nun zum eigentlichen Bericht)
Mein
Halbjahresbericht: Gedanken und Hoffnung
Versuch meine Gedanken niederzuschreiben:
„Jetzt sind schon sechs Monate meines Freiwilligendienstes
rum – Halbzeit. Als ich gerade angefangen habe über diesen Bericht nachzudenken
war das der erste Satz, der mir in den Sinn kam. Eigentlich lustig, da ich
normalerweise eher denke „es sind erst vier Monate, erst fünf Monate, erst …
rum“. Doch dieses Mal habe ich nicht „erst“, sondern „schon“ gedacht.
Vielleicht merke ich, wie schnell die Zeit doch eigentlich vergeht und wie
vergänglich doch Vieles ist. Wobei ich sagen muss, dass es mir in vielen
Situationen (leider) anders geht. Ich denke sehr oft an Deutschland, meine
Freunde und Familie. Wobei ich nicht sicher bin, ob ich dabei wirklich jemand
oder etwas ganz Bestimmtes vermisse (außer vielleicht Schokolade und Chips :D),
aber dennoch denke ich oft darüber nach wieder in Deutschland zu sein. Wenn ich
mir dann die Frage stelle, ob ich lieber hier oder in Deutschland wäre, ist es aber
jedes Mal die gleiche Antwort: Ich bin froh hier zu sein und könnte mir auch
nicht vorstellen woanders zu sein. Warum also, kann ich nicht einfach die Zeit,
die ich hier habe und jetzt erlebe genießen? Und es ist ja auch nicht so, dass
ich hier ständig traurig oder unzufrieden wäre, aber trotzdem muss ich mir
eingestehen, dass es öfters vorkommt, wie ich das im Vorfeld erwartet hätte.
Während ich in meinem ersten Bericht geschrieben habe, dass
ich bereits das Gefühl habe angekommen zu sein und dieses Gefühl eigentlich
auch schon nach zwei bis drei Wochen hatte, bin ich mir im Moment unsicher, ob
ich hier überhaupt jemals wirklich ankommen werde bzw. kann. Ich fühle mich im
RED House unheimlich wohl und könnte mir nicht vorstellen woanders zu wohnen. Jedes
Mal wenn ich auf dem Hof sitze und um mich herumschaue kann ich nur denken, wie
froh ich bin hier gelandet zu sein und wie gern ich hier bin, in dieser
Gastfamilie, in diesem (meinem) Zimmer, auf diesem Hof mit der Küche und
unseren Hühnern. Ich bin froh und in gewisser Weise auch zu Hause und dennoch
würde ich sagen ich bin nicht angekommen. Vielleicht kann man sagen: Ich bin
hier daheim, aber fühle mich doch nicht zu Hause.
Als ich mir Gedanken darüber gemacht habe,
woran das liegen könnte, stellte ich fest, dass ich eigentlich keine
tansanischen Freunde habe. (Allein das zu schreiben fällt mir unheimlich
schwer.) Klar, ich verstehe mich mit meiner Gastfamilie, unserem Lehrer und
auch einer Lehrerin der Matsapa School. Aber wirklich Freunde in meinem Alter
habe ich keine. Ich kenne einige gleichaltrige Tansanier, da sie mit
Vorfreiwilligen befreundet waren und daher automatisch auch uns kennen, aber so
dass ich wirklich selbst, also von mir aus eine Freundschaft zu jemanden
aufgebaut habe, ist nicht der Fall. Und je öfter ich darüber nachdachte,
stellte ich auch fest, dass das mit der Hauptgrund ist, warum ich hier einfach
(noch) nicht zu Hause bin. Das geht soweit, dass ich oft enttäuscht von mir
bin, was mich natürlich traurig macht und so wiederrum an meine Freunde und
Familie daheim denken lässt. Gerade in den letzten Wochen hat mich das sehr
beschäftigt. Oft setze ich das „Nicht finden von Freunden“ mit „Versagen hier
anzukommen“ gleich. Ich habe versagt, hier zu leben, mich zu integrieren –
einfach meinen Platz zu finden. Aber kann man in diesem Fall
wirklich von Versagen sprechen? Kann man versagen Freundschaften zu schließen?
Kann man Freundschaften denn erzwingen? Und was bringen erzwungene
Freundschaften letztendlich? Dabei sollte man auch im Hinterkopf behalten, dass
ich ja doch erst sechs Monate hier bin…
Ich merke, wie wichtig mir
meine Freunde sind und dass ich sie gern in meiner Nähe habe. Wenn ich mich zum
Beispiel vor die Wahl stelle, hier in Tansania mit meinen Freunden oder in
Deutschland mit meinen Freunden zu sein, wäre ich lieber hier, allerdings MIT
meinen Freunden. Daher kam ich auch zu der Schlussfolgerung, dass meine
Unzufriedenheit nicht daher kommen kann, in Tansania zu sein, sondern vielmehr
daher kommt „allein zu sein“. Leute, die mir am Herzen liegen, fehlen bzw. sind
zu weit entfernt.
Am Anfang des Jahres dachte
ich Freunde finden kommt von ganz alleine. Ich wollte mir hier auch keinen Druck
machen, sondern war zuversichtlich früher oder später Freunde zu finden. Da bin
ich mir nicht mehr so sicher. Mir wird immer mehr bewusst, dass wir vielleicht
alle Menschen sind und wir uns auch wünschen und sagen, dass wir alle gleich
sind und in der Theorie vielleicht die gleichen Rechte haben, dass die
Hautfarbe keine Rolle spielt. Aber dennoch muss ich feststellen, dass die
Hautfarbe hier eben doch eine Rolle spielt. Ich bin weiß, ich habe mehr Geld
als viele Tansanier (und das obwohl sie vielleicht schon viele Jahre gearbeitet
haben, während ich gerade mal das Studium abgeschlossen habe), ich bin in einer
privilegierten Welt aufgewachsen. Immer wieder stelle ich auch fest, dass es
eine enorme Rolle spielt, dass ich eine (weiße) Frau bin. Oft habe ich das
Gefühl nicht als Mensch, sondern als Objekt gesehen zu werden. Ich bin mir in
vielen Situationen auch unsicher, inwiefern die Person gerade mit mir redet,
weil sie an mir als Person interessiert ist oder es mehr als Status betrachtet
mit einer weißen Person gesehen zu werden. Das macht mich traurig und ich
merke, wie ich gegenüber fremden Menschen misstrauischer werde, da ich mir
einrede, sie sehen mich ja doch nur als eine weiße Person, die Geld hat und
nicht wirklich als Mensch. Das ich mit diesen Gedanken vielen Tansaniern
Unrecht tue, weiß ich, aber löscht die Gedanken leider nicht aus und wirft
einen ganz neuen Blick auf das Thema „Rassismus“.
Das alles macht es für mich
schwer mich wirklich zu integrieren, Freunde zu finden …eben einfach anzukommen.
Und dabei will ich mich integrieren, ich lerne die Sprache, habe mich an das
tansanische Essen oder die tansanische Infrastruktur gewöhnt und viele weitere
alltägliche Dinge sind mittlerweile (selbst-)verständlich. Aber dann kommt es
zum Thema Freizeitbeschäftigung. Nehmen wir mal zwei „Extrembeispiele“
(hinsichtlich des Kostenfaktors): Urlaub oder in einem Restaurant essen gehen.
Dinge, die ich unheimlich gerne mache und wofür ich gerne mein Geld ausgebe.
Dinge, die ich mir leisten kann aber viele Tansanier nicht. Dinge, die die
Unterschiede wieder hervorheben - deutlich machen. Viele dieser Dinge habe ich
in den ersten Monaten nicht getan, eben weil ich mich anpassen wollte und mich
in die Gesellschaft einfügen wollte. Aber ich habe es sehr vermisst. Als wir
(ich und weitere Freiwillige) vor ein paar Wochen dann doch einmal in einem
Restaurant essen waren, habe ich erst bemerkt wie sehr ich es vermisst habe.
Wie wichtig mir diese Dinge tatsächlich sind und obwohl es mir an diesem Abend
wirklich gut ging und ich es genossen habe einfach zusammen zu sitzen (wohl
bemerkt direkt an Meer, mit Wellenrauschen im Hintergrund), zu quatschen und zu
essen habe ich mich im selben Moment geschämt. Geschämt für meine Gedanken, für
mein Verhalten und auch für meine Gefühle. „Hier kommt der Mzungu (der Weiße),
der Geld hat um Essen zu gehen, aber hinterher mit dem Taxifahrer wegen ein
paar Cent verhandelt und sich womöglich noch aufregt abgezogen zu werden.“ Ich
schäme mich und bin schockiert von mir selbst.
Bei Gedanken wie diesen,
kommt man früher oder später auf Gerechtigkeit bzw. die ungerechte Verteilung
von Geld, von Waren, von Rohstoffen etc. Und letzten Endes ist das eigentlich
nichts Neues, dass es Ungerechtigkeit gibt, war mir auch vor diesem Jahr klar.
Aber ich habe es nie so persönlich gesehen bzw. erlebt. Natürlich gibt es auch
in Deutschland keine komplett gerechte Verteilung von Geld oder Ähnlichem. Aber
dennoch gibt es zum Beispiel eine gesetzliche Krankenkasse, es gibt
Sozialleistungen…ein System das versucht diese Ungleichheiten auszugleichen
bzw. versucht die Grundbedürfnisse eines Jeden zu erfüllen. Ich will damit
nicht sagen, dass in Tansania oder Ländern des Globalen Südens alle Menschen
arm sind und nicht ins Krankenhaus können oder verhungern. Auf keinen Fall! So
wie es in Europa Menschen mit mehr oder weniger Geld gibt, so gibt es auch in
Afrika Menschen mit mehr oder weniger Geld. Ich denke eher an die globale
ungerechte Verteilung von Geld und Macht, die zum Beispiel durch ungerechte
Handelsabkommen zwischen Ländern des globalen Nordens und des Südens und die
damit einhergehende Ausbeutung zum Ausdruck kommt. Gibt es dafür auch einen
fairen Ausgleich? Ein System, das die Ungleichheiten ausgleicht? Viele denken
jetzt vielleicht „Na klar, Entwicklungshilfe oder Spenden oder …“ Aber wie
ausgleichend sind diese Dinge denn wirklich? Von der Nachhaltigkeit will ich
lieber gar nicht erst anfangen oder von dem Eigennutzen, der oftmals daraus
gezogen wird bzw. die erneute Abhängigkeit, die oftmals entsteht.
Fragen wie: „Was passiert
mit unserem Elektroschrott? Wie kommt es, dass wir Schokolade für 80 Cent
kaufen können? Woher kommen Kleider, die gerademal drei Euro kosten?“ kommen
mir immer häufiger in den Kopf. Und letzten Endes wissen wir alle die Antwort auf
solche Fragen. Es sollte uns klar sein, dass die Bereicherung des Einen nur zu
Lasten eines Anderen passieren kann. Die eigentliche Frage ist doch, was tun
wir gegen diese Ungerechtigkeit? Wie können wir unser Handeln ändern? Wie können wir Mitmenschen darauf aufmerksam
machen und versuchen Ausgleich zu schaffen? Was kann ich persönlich besser
machen, um diese Ungerechtigkeit nicht weiterzuführen? …Fast immer ist doch die
Konsequenz, dass ich – dass wir – auf Etwas verzichten müssten (bzw. mehr Geld investieren
müssten, was wiederum zum Verzicht bei anderen Dingen führt). Und damit kommt
man auch zur entscheidenden Frage: Bin ich bereit auf Etwas zu verzichten? Bin
ich bereit mein Handeln zu ändern? Vermutlich sogar für meinen persönlichen
Nachteil? Oder wenn man die Frage mal anders herum stellt: Was bin ich bereit
für den Vorteil von Anderen zu geben? In Deutschland war es leicht bei solchen
Dingen einfach die „Augen zu schließen“, nicht daran zu denken. Ausreden zu
finden, doch das Shirt für 1, 50 Euro zu kaufen. Durch meinen Aufenthalt in
Tansania werden diese Dinge plötzlich präsent, sie werden persönlich. Es fällt
zunehmend schwerer „die Augen zu verschließen“. Plötzlich hat das Gewissen
einen größeren Einfluss auf Entscheidungen, die bisher nicht einmal in Frage
gestellt wurden.“
Diese Gedanken und viele
mehr beschäftigen mich sehr stark und werden dies wohl auch noch eine Weile
tun.
…Gedanken, die hoffentlich
mit nach Deutschland getragen werden.
…Gedanken, die hoffentlich
zu Worten und Taten werden.
…Gedanken, die Hoffnung
wachsen lassen.
Sonnenuntergang bei der Morogoro Road, auf dem Nachhauseweg vom Post Office. |
Ich schmeiße hier viele Sachen in einen Topf,
die man besser getrennt sehen sollte. Allerdings habe ich den Text geschrieben,
wie die Gedanken in den Sinn kamen, daher ist er an vielen Stellen
unübersichtlich und unvollständig. Dennoch hoffe ich, dass der Ein oder Andere
meinen Gedankengängen folgen kann. Vielleicht sogar selbst zum Nachdenken
angeregt wurde.
Der Anfang des Textes ist sehr persönlich und bringt auch
meine Unzufriedenheit und sicher auch meine Traurigkeit zum Ausdruck. Hier
möchte ich nochmal kurz darauf hinweisen, dass ich traurig bin, dass ich
unzufrieden bin und dass ich häufig an meine Familie und Freunde denke, ABER
(!!!) das heißt nicht, dass es mir schlecht geht! Genau wie ich schlechte Tage in
Deutschland hatte, habe ich die natürlich auch in Tansania. Der Unterschied
liegt eher darin, was diese Traurigkeit auslöst. Das heißt aber nicht, dass ich
jeden Tag im Zimmer sitze und mir die Augen aus dem Kopf heule ;) :D. Erst
heute Morgen hat ein Kind bei uns angefangen alleine zu schreiben – einfach so
von sich aus. Am Anfang hat es jedes Mal geweint, wenns ans Schreiben ging,
irgendwann weinte es nicht mehr aber wir mussten jeden Buchstaben
zusammenschreiben. Und heute hat es von sich aus gesagt „Mimi tu, mimi tu. Naweza
peke yangu, teacher“ (Nur ich, nur ich. Ich kann das alleine, Lehrerin). Und
dabei hat es fröhlich gelacht, den Stift genommen und angefangen die Buchstaben
nachzufahren. Ich stand einfach sprachlos daneben und musste einfach anfangen
zu lachen, weil es mich so gefreut hat. Ihr müsst euch also keine Sorgen um
mich machen. Ich komm schon zurecht und falls nicht, hab ich jetzt dank meines
Osterpaketes einen Vorrat an Schokolade :D
Liebe Grüße
Julie :)
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